Rede in der Bezirksverordnetenversammlung zur Einreichung des Einwohner*innen-Antrags

28. März 2019

Die Initiative RAW.Kulturensemble begründet den Einwohner*innen-Antrag „RAW als städtebauliches Erhaltungsgebiet sichern“.

Bezirksverordneten-Versammlung Friedrichshain-Kreuzberg, 27. März 2019

(Vielen Dank, Frau Vorsteherin, sehr geehrte Anwesende)

Die Unterschriftensammlung fand von Mitte Juli 18 bis Mitte Januar 19 statt und erfolgte zum Beispiel durch Auslage in Geschäften sowie auf Info-Ständen im Bezirk. Im Ergebnis haben nun 2.300 Menschen aus Friedrichshain-Kreuzberg unterschrieben, über 5.000 eingereichte Unterstützer-Unterschriften waren es insgesamt.

Vor 5 Jahren standen wir schon einmal vor Ihnen, auch mit einem Einwohner*innen-Antrag. Das Motiv ist heute wie damals das Gleiche. Wie schon 2014 steht eine Planung im Raum, die vom Wesen des RAW wenig übrig lassen wird. Damals beschloss die BVV dann “Das gesamte Gelände soll sich als Bereich für Freizeit, Soziales und Kultur aus dem Bestand heraus weiterentwickeln.”

Die Planidee war 2014, also vor dem zitierten Beschluss, den Soziokulturellen Bereich zu erhalten und dafür das RAW drumherum stark nachzuverdichten, ohne die Nutzungskonkurrenzen zu berücksichtigen. Und das ist eben heute wieder der Fall. Es ist nicht mehr vom Gesamtensemble die Rede, das sich aus dem Bestand heraus entwickelt, sondern es ist eine Transformation geplant, die in der Gesamtbetrachtung die städtebauliche Funktion des RAW ignoriert - nämlich das RAW als innerstädtischer Freiraum für Kultur, für Freizeit, Erholung und lokales Gewerbe.

Und deshalb stehen wir heute wieder hier und möchten mit unserem Einwohner*innen-Antrag den Blick erneut auf die besonderen Freiraumqualitäten des RAW lenken. Dazu bringen wir einen konkreten Vorschlag in die RAW-Entwicklung ein.

Nämlich die städtebauliche Erhaltungsverordnung nach § 172 BauGB. Man könnte sagen, sie ist die kleine Schwester der Milieuschutzsatzung und  schützt “die städtebauliche Eigenart aufgrund der städtebaulichen Gestalt”, im weitesten Sinne also Milieuschutz für Häuser und Freiflächen, inklusive Vorkaufsrecht für den Bezirk.

Worin besteht die städtebauliche Eigenart des RAW?

Nach dem Hobrechtplan von 1863 sollte auf den Flächen des heutigen RAW ursprünglich eine Blockrandbebauung entstehen. Stattdessen wurde dieser Plan verworfen und eine Eisenbahnwerkstatt eingerichtet.

Aufgrund aber dieser Abweichung vom Hobrechtplan entstand eine städtebauliche Besonderheit, die auch heute offensichtlich ist und jedem ins Auge springt, der sich über die Warschauer Brücke in Richtung Boxhagener Kiez bewegt. Da liegt dann rechtsseitig das RAW - deutlich tiefer als die Wohnbebauung dahinter und auch in der Gebäudestruktur deutlich von der Umgebung zu unterscheiden.

Es entstand eine bauhistorische Collage, die 130 Jahre später mit dem Wegfall der Eisenbahn-Nutzung dann der Ausgangspunkt und die Voraussetzung war für die kulturelle Nachnutzung, die dem RAW heute eine neue stadträumliche Funktion verleiht.

Diese neue stadträumliche oder auch städtebauliche Funktion ergibt sich nicht nur durch etablierte Nutzungen wie dem Soziokulturellen Zentrum, oder - um nur ein Beispiel zu nennen – dem Urban Spree, das vom Abriss bedroht ist.

Es ist doch so, dass eine Vielzahl an geplanten Nachverdichtungen im Umfeld des RAW-Gelände erst in einigen Jahren sichtbar oder wirksam wird.

Und somit steigt die (zukünftige) Bedeutung des RAW als innerstädtischer Freiraum auch im Hinblick auf das schon vorhandene Grünflächen-Defizit in Friedrichshain und gerade im Zuge der Nachverdichtung zwischen Ostkreuz und Warschauer Brücke - hier natürlich mit besonderem Blick auf den “Entertainment District” nebenan.

Auch die Frage, wie sich die Umsetzung der Pläne auf die soziokulturelle Praxis im RAW auswirken würde, selbst mit 30 Jahren Mietvertrag, ist eine Überlegung wert.

Das Soziokulturelle Zentrum braucht ja nicht nur eine vertragliche Sicherung, sondern hängt auch von seiner Umgebung ab. Mit  der Umsetzung der vorliegenden Planung werden Nutzungskonflikte auf dem RAW entfacht, innerhalb derer sich die Pioniernutzungen in einen Soziokultur-Zoo verwandeln werden.

Was sind also die Ziele der Erhaltungsverordnung in Bezug auf das RAW

Wir wollen über den (weitestgehenden) Erhalt der vorhandenen Bebauungsstruktur stadträumlich wichtige Nutzungen schützen und Möglichkeitsräume für zukünftige Nutzungsbedarfe sichern. Das schließt behutsame bauliche Ergänzungen ganz und gar nicht aus. Eine fortschrittliche, kleinteilige Planung aber behält die Zukunft der Stadt im Blick und ermöglicht auch in 30 Jahren noch die Anpassung an sich verändernde Nutzungsbedürfnisse.

Dabei ist die städtebauliche Erhaltungsverordnung deshalb so interessant, weil sie die langjährige Diskussion um die Bebauung befrieden kann - sie schafft einen verbindlichen Planungsrahmen, der sowohl die Interessen der Eigentümer nach wirtschaftlicher Verwertung bedient, als auch vorhandene Freiraumqualitäten erhält:

Eine Entwicklung wird dadurch nicht verhindert, aber Neubauten müssen sich in das Ensemble einfügen, wovon der Stadtraum RAW, seine aktuellen und zukünftigen Nutzer*innen und die Bewohner*innen Berlins profitieren.

Ein Wort noch zur Umsetzbarkeit der Erhaltungsverordnung: Wir wissen, dass eine rechtssichere Begründung nicht einfach ist und haben auch schon munkeln hören, dass eine interne Stellungnahme in der Verwaltung vorliegt, die negativ ausfällt.

Dennoch sind wir davon überzeugt, dass es möglich ist. Wir haben Ihnen dazu heute eine ausführliche Begründung per Mail zukommen lassen.

Die Annahme des Einwohner*innen-Antrags bedeutet erstmal nichts anderes, als dass das Bezirksamt aufgefordert wird, eine Erhaltungsverordnung zu erlassen. Wobei ein Beschluss über den Erlass nicht gleichzusetzen ist mit der tatsächlichen Umsetzung. Zuvor müsste eine Prüfung stattfinden, die normalerweise von externen Fachleuten vorgenommen wird, wie z. B. aktuell von Werkstadt Berlin beim städtebaulichen Untersuchungsgebiet Karl-Marx-Allee/Frankfurter Allee.

20 Jahre hat das RAW – nicht zuletzt dank Ihrer Unterstützung – auch die schlimmsten Wild-West-Episoden der Immobilienwirtschaft überstanden. Wenn auch, zugegebenermaßen, nicht mehr im besten Zustand. Deshalb muss sich das RAW entwickeln! Das stellen wir nicht infrage. Unsere Frage ist: Wie? Wie wird das RAW entwickelt? Wie muss es sich entwickeln?

Wir bitten Sie in diesem Sinne darum, den Einwohner*innen-Antrag zu unterstützen!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

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